Juden in Hohen-Sülzen

Gedenktafel an jüdische Mitbürger

Seit spätestens dem 17. Jahrhundert haben in Hohen-Sülzen Juden gelebt. Sie hatten zahlreiche Auflagen zu erfüllen und mussten über Jahrhunderte Kopfsteuern an den Landesherrn bezahlen, um geduldet zu werden. Im Jahr 1796 musste Feist Samuel aus Hohensülzen eine «Rezeption als Schutzjude» bezahlen, um im Ort wohnen zu dürfen.

Möglicherweise gab es bei uns auch in den Jahrhunderten davor jüdische Mitbürger. In den Jahren 1470/1471 kam es in der Kurpfalz zur Austreibung aller Menschen mosaischen Glaubens. Mit gleicher Radikalität entfernte die Kurpfalz, zu der auch Pfeddersheim gehörte die Juden im Jahr 1556. Die Stadt Worms schloss sich dem Vorgehen nicht an. Es ist gut vorstellbar, dass Juden sich damals nicht nur in Worms, sondern auch im Falkensteinischen Hohensülzen, oder im leiningischen Monsheim und Offstein in Sicherheit brachten.
In der Hohen-Sülzer Gerichtsordnung von 1537 wird unerlaubte Geldleihe bei Juden unter Strafe gestellt.
»Item es soll keiner umb keinen Juden on zuvorwißen, oder Erlaubniß der Herrschaft Falckenstein nichts entlehnen uf Straf zehen Gulden.«

Per napoleonischem Edikt vom 20. Juli 1808 wurden Juden gezwungen, innerhalb von drei Monaten Familiennamen anzunehmen. Danach waren ihre Namen, Gutter, Herzog, Klein, Levi, Mayer, Moses, Scheuer, Semmel und andere. Aus Lion Abraham wurde Isaac Goldschmitt. Im Ortsbürgerverzeichnis waren sie zumeist als Handelsmann eingetragen. 1688 gab es bereits drei jüdische Familien, 1834 waren von 501 Einwohnern 363 evangelisch, 110 katholisch und 28 jüdisch.

Die Juden unterschieden sich von den Christen durch anderes Beten, hatten andere Feiertage und andere Schulinhalte. Letzteres führte in den Falkensteinischen Landen 1786 zu folgender Anordnung:

»Allerhöchste Anordnung, die tolerierte Judenschaft dem Staate nützlich zu machen und ihren Charakter mittels der Schuleinrichtung zu verbessern.«

Die 1805 in Hohen-Sülzen geborene Geleh Mosis (Gertrauda Herzog), Tochter des Hertz Moses (Simon Herzog), heiratete 1828 Hona Ordenstein aus Offstein. Sie hatten zwei prominente Nachkommen. Ihr Sohn Leopold, geboren 1835, ermordet 1902, war ein berühmter Arzt, der in Giessen und in Paris promoviert hat. In Paris hat er zusammen mit dem französischen Neurologen Jean-Martin Charcot als erster systematisch die bis dahin kaum ergründete Parkinsonsche Krankheit und die Multiple Sklerose erforscht und beschrieben. Der Enkelsohn von Geleh (Gelo) war Heinrich Ordenstein, geboren 1856, gestorben 1921. Dieser war ein berühmter Konzertpianist und Musikpädagoge, Hofrat und Professor und hat das heute noch existierende Badische Konservatorium 1884 in Karlsruhe gegründet.

Die jüdischen Einwohner von Hohen-Sülzen gehörten zum Rabbinatsbezirk Worms und hatten eine enge Beziehung zur jüdischen Gemeinde in Monsheim. Dort wurde auch die um 1840 erbaute Synagoge besucht. Im Kirchenbuch von Monsheim wurde vom lutherischen Pfarrer Georg Klein die Einrichtung einer Judenschule und Synagoge in Kirchennähe bereits im Pestjahr 1666 beschrieben und vehement kritisiert.

Nach einem Bericht von 1855 hatte die jüdische Gemeinde Hohensülzen einen kleinen Betsaal in einem Privathaus. Die Toten der Gemeinde wurden auf dem seit 1579 existierenden jüdischen Friedhof, außerhalb der Stadtmauer von Dalsheim beigesetzt. Der auffälligste Grabstein dort ist mit einem Eisernen Kreuz und der Jahreszahl 1914 versehen, die Aufschrift lautet: »Hier ruht Julius Klein aus Hohensülzen, Offizierstellvertreter Er starb den Heldentod am 25. September 1914 im 29. Lebensjahr.«

Der hebräische Text auf dem Stein lautet: »Hier ruht ein netter Junger, rein und geradlinig in seinen Taten, hat viele Bekannte und Leute, die ihn lieben, hat sein Leben geopfert für sein Land und sein Volk, sein Andenken zwischen den Helden, Itzak, Sohn von David Klein, gestorben am Freitag den 25.09.1914. Soll seine Seele ruhen unter den Lebenden. Er starb den Heldentod.«

In einem Artikel der Zeitschrift ‘Der Israelit’ steht am 24. Februar 1875: »Zu Hohensülzen bei Monsheim wurde am Donnerstag Herr Simon Levi beerdigt, der das seltene Alter von 106 Jahren erreicht. Der Verstorbene hinterlässt 3 Kinder, 17 Enkel und 45 Urenkel«. Im Sterbebuch des Personenstandsarchives in Monsheim steht allerdings mit Datum 08.02.1875: »alt einhundert Jahre.«
In der evang. Kirchenchronik schreibt Pfarrer Eckhard: »Etliche meinten, er sei noch älter gewesen. Sein Geburtstag ließ sich nicht mehr genau ermitteln. Jenes Alter hat er aber sicher mindestens erreicht.«

Isack Löw, geboren 1731, gestorben 1799 steht auf der ersten Urkunde des Sterbebuches, welches von den Franzosen im Rahmen systematischer Urkundenführung eingeführt wurde. Im gleichen Haus, damals Kirchbrungaß 41, starb 1808 Isaac Semmel. 1806 verstarb Hanna, die Frau des Salomon Hohensülzen. Sie wurde auf dem Judenfriedhof in Worms, Grabsteinnummer 258 beigesetzt. In den Jahren1837 bis 1846 wurden von der Bürgermeisterei Hohensülzen 15 Pässe für jüdische Händler ausgestellt, damit diese in den deutschen Bundesstaaten Handel treiben konnten. Johanna Goldschmitt, geb. 1784, erhielt alleine 9 Mal einen befristeten Pass als »Schuhwichshändlerin«. Aus ihrer Familie waren Leonhard, geb. 1775, Neumann, geb. 1813 und Isaak, geb. 1809 in der gleichen Branche tätig. Isaias Herzog, geb. 1824 und Joel Herzog, geb. 1821 werden in den Pässen lediglich als Kaufmann und »Commis« bezeichnet.
Die jüdischen Mitbürger waren über viele Generationen im Ort bestens integriert und geachtet. In Kriegen haben sie gleichermaßen Söhne und Väter verloren. Leonhard Goldschmidt ist im Krieg 1870/71 am 30. Dezember 1870 im Lazarett Saarbrücken verstorben. Zuvor war er 1866 für das Großherzogtum Hessen mit Verbündeten gegen Preußen und Verbündete im Deutschen Krieg an der Schlacht von Königgrätz beteiligt. Fritz Klein war wie sein Bruder Julius Soldat an der Front im 1. Weltkrieg. Ihr Schwager Ludwig Guthjahr, verheiratet mit der Schwester Elise überlebte den Krieg nicht.

Jüdischer Grabstein

Im 20. Jahrhundert gab es dann nur noch zwei jüdische Familien im Ort. Die Familie Levi / Gutter war bettelarm und regelmäßig auf Sozialfürsorge und Unterstützung der jüdischen Gemeinde und der Ortsgemeinde angewiesen. Man schlief auf Strohsäcken und arbeitete für die ortsansässigen Bauern als Tagelöhner. 1942 wurden Rosa Gutter, geborene Levi, geb. 1890 und ihr Sohn Adolf, geboren 1924 in das Ghetto Piaski bei Lublin deportiert und sind seitdem verschollen. Der zweite Sohn der Familie, Max Gutter geboren 1922, hat überlebt, weil er ein Stipendium erhielt und rechtzeitig nach Haifa in Israel auswanderte. Familie Klein war wohlhabend, sie betrieben einen Landhandel, waren Makler und Geldverleiher. David Klein (1867 bis 1934) wurde ab dem Jahr 1898 dreimal in den örtlichen Gemeinderat gewählt. In seinem Volksstück von 1912 »De Rothausreformader«, welches in Hohen-Sülzen spielt, nennt der Verfasser und Pfarrerssohn Wilhelm Briegleb ihn »Moses Abraham« und zeichnet ein durchaus positives und sympathisches Bild von ihm.

David Klein hat die Reichspogromnacht (Reichskristallnacht) 1938 nicht mehr miterleben müssen. SA-Männer aus Pfeddersheim haben hier das gesamte Mobiliar aus den Fenstern geworfen und teilweise verbrannt. Die Einwohner von Hohen-Sülzen haben sich daran nicht beteiligt. Ebenfalls 1938 wurden die Vermögenswerte von Juden erfasst. In verschiedenen Schreiben des Kreisamtes Worms an die Bürgermeister des Kreises wurde erheblicher Zwang ausgeübt. Es wurde auch erfasst, ob Ehepartner der Rasse nach jüdisch, oder nichtjüdisch sind. Die Geschwister Klein wurden 1939 gezwungen, ihre Äcker in der Gemarkung Hohen-Sülzen zu verkaufen. Sie konnten dabei weder über den Kaufpreis bestimmen, noch festlegen, wer welchen Acker erhält. Auszug aus einem Schreiben vom 31. Juli 1939: »Gegen den Kaufvertrag ____ bestehen grundsätzliche Bedenken, ___ , ___ ist als Judenfreund abzulehnen, da er fortgesetzt (hauptsächlich seine Frau) mit Juden verkehrt hat. Außerdem steht er dem heutigen Staat völlig gleichgültig gegenüber.«

Der Zwangsverkauf der Güter der Familie Klein konnte den Nachkommen von David Klein dennoch nicht das Leben retten. Fünf seiner Nachkommen wurden in Konzentrationslager verschleppt und sind dort umgekommen. Fritz Klein, geb. 1889 wurde ins KZ Buchenwald deportiert und »verstarb« dort 1942. Auguste Wartensleben, geb. Klein, geboren 1883 und ihre Schwester, die war Kriegerwitwe seit dem Weltkrieg, Elise Gutjahr, geb. Klein, geboren 1884 wurden 1942 ins Ghetto Piaski bei Lublin deportiert und sind verschollen. Ihre Töchter Luzie Rosa Wartensleben, geboren 1915 und Rosel Gutjahr, geb. 1914, wurden ebenfalls von Darmstadt aus nach Piaski verschleppt und dort ermordet. Der Sohn von Auguste Wartensleben, Alfred David, geb. 1911 hat in London Medizin studiert und anschließend als Arzt gearbeitet. Er hat als einziger dieser Familie überlebt. In England hat er den Familiennamen geändert und wurde als Dr. Alfred David Wharton eingebürgert.

Die Gemeinde Hohen-Sülzen hat den in unserem Dorf geborenen Deportierten und Ermordeten zum Andenken eine Bronzetafel am Rathaus gewidmet.

Stand 03/2016 | Klaus Nasterlack